Wahrnehmung und Kommunikation

Menschen aus dem Autismus-Spektrum verarbeiten Sinneseindrücke anders. Sie nehmen die Welt anders wahr als neurotypische Menschen. Aufgrund ihrer anderen Wahrnehmung haben Menschen mit Autismus manchmal Mühe, Reize zu verarbeiten. Das kann zu einem Overload, Meltdown oder Shutdown führen. Zudem reagieren sie oft über- oder unterempfindlich auf Lärm, Licht oder Gerüche. Reaktionen sind Stress, Angst, Schmerz und weitere unangenehme Gefühle. Erfahren Sie hier mehr über die autistische Wahrnehmung.


Die andere Wahrnehmung

Ein «Overload» ist eine Überbelastung aufgrund von Reizüberflutung, zu vielen Bildern, Geräuschen, Gerüchen oder Ähnlichem. Unwichtige Reize können nicht mehr rausgefiltert werden, im Kopf entsteht ein Chaos aus Eindrücken und Gefühlen.

Die Folge eines Overloads kann ein sogenannter «Meltdown» sein. Ein Meltdown nimmt meistens die Form eines unkontrollierten Wutausbruchs an und kann in einem anschliessenden Shutdown enden. Bekommen die Betroffenen keine Möglichkeiten, sich zu beruhigen und zurückzuziehen, brechen die aufgestauten Reize förmlich aus ihnen heraus. Das Ganze mündet dann in einen Wutausbruch mit beispielsweise lautem Schreien, dem Werfen von Gegenständen oder Verletzungen gegen sich selbst oder andere. Doch die Betroffenen wollen nicht mit Absicht zerstören oder verletzen, sondern sie tun dies, weil sie in diesem Moment einfach nicht anders können. Die extremen selbst erzeugten (Schmerz-)Reize dienen in diesem Fall der Überdeckung der Reize, die sie nicht beeinflussen können. Einige Betroffene haben totale Ausraster, schreien hysterisch herum oder schlagen sich selber. Sie merken auch oft, dass sie sich daneben benehmen, haben aber in dem Moment keinerlei Kontrolle über ihr eigenes Verhalten.

Wenn kein Rückzug, keine Selbststimulation, kein Entrinnen aus dem Overload mehr möglich ist, kann sich dieser auch zu einem «Shutdown» (= Abschalten) entwickeln. Ein Shutdown ist ein völliger Rückzug. Viele von Autismus Betroffene sind in dieser Situation nicht mehr ansprechbar.
Ein Anfassen bzw. eine körperliche oder verbale Zurechtweisung der autistischen Person sollte unbedingt vermieden werden. Die beste Option für das Umfeld ist es, abzuwarten, bis der Meltdown oder Shutdown vorbei ist, da Interaktionen ihn verschlimmern oder verlängern können.

Viel wichtiger ist es, mögliche Stresssituationen im Voraus zu erkennen und diese durch gezielte Vorbereitung zu vermeiden.

Die beste Möglichkeit, einem Overload und damit auch einem Meltdown und Shutdown vorzubeugen, besteht in der Prävention. Hier einige Ideen, wie präventiv gehandelt werden kann:

  • entsprechende Rückzugsmöglichkeiten schaffen (beispielsweise einen Ruheraum)
  • Stereotypien, die in stressigen Situationen wichtig zur Beruhigung sind, nicht unterbrechen, sondern evtl. den Rückzug anbieten.
  • Im Kindergarten oder in der Schule: Gruppensituationen (wie zum Beispiel Lerngruppen) möglichst vermeiden, denn die sozialen Anforderungen stressen zusätzlich. Wichtig ist, das nötige Verständnis für das Kind aufzubringen und entsprechende Aus-Zeiten (oder den nötigen Abstand) anzubieten.
  • Reize, die als belastend empfunden werden könnten, so gut es geht minimieren (z.B. Fenster bei Strassenlärm schliessen). Im Schulsetting besteht zum Beispiel die Möglichkeit, einen möglichst reizarmen Sitzplatz, evtl. ganz vorne oder mit Blick auf eine weisse Wand, zu wählen.
  • Zeichen vereinbaren für Situationen, in denen sich Betroffene überreizt fühlen, sodass sie rechtzeitig die Möglichkeit zum Rückzug haben. Genügend Pausenzeiten für den Rückzug einplanen. Diese müssen vorgängig in verschiedenen Situationen mehrmals geübt werden.
  • Eindeutige Aussagen und Absprachen treffen (keine Ironie oder Zweideutigkeiten) und diese auch einhalten.
  • Das Setzen und Einhalten von klaren Strukturen im Alltag.

Menschen mit Autismus reagieren oft über- oder unterempfindlich auf Reize wie Lärm, Licht oder Gerüche. Dies löst Angst, Schmerz und weitere unangenehme Gefühle aus.
 
Wie fühlt sich eine sensorische Überempfindlichkeit an?
 
Dieser Film gibt einen möglichen Einblick, wie Menschen mit Autismus ihre Umgebung wahrnehmen. Wichtig: Wir werden nie ganz genau wissen, wie sich ein Mensch mit ASS wirklich fühlt und wie er wahrnimmt. Wir können nur Annahmen treffen. Warnung: Dieser Film enthält grelles Licht, starke Farben und laute Geräusche.
Film

Was kann ich tun, um einem Betroffenen in einer solchen Situation zu helfen?
 
In erster Linie ist es wichtig, dass Sie die betroffene Person weder sich selbst noch fremde Personen verletzt.
 
Versuchen Sie dann, die Situation zu beruhigen.
 
Bieten Sie einem Menschen mit ASS, der angesichts von zu vielen Reizen überlastet, Ihre Hilfe an. Schon kleine Veränderungen können hilfreich sein. Beachten Sie dabei folgende drei Punkte:
 

  • Wachsam sein: Können Sie etwas verändern, um die Reizüberflutung zu vermindern?
  • Vorbereitet sein: teilen Sie der betroffenen Person mit, welche möglichen sensorischen Reize sie an verschiedenen Orten erwarten (z.B. Lärm und viele Menschen am Bahnhof). Üben Sie in kleinen Schritten.
  • Kreativ sein: überlegen Sie sich immer wieder, wie Sie eine Situation entspannen, bereits im Voraus stressige Gegebenheiten vermeiden und die betroffene Person gut auf neue Umstände oder Übergänge in andere Kontexte vorbereiten können.

Erfahren Sie im Folgenden, wie sich sensorische Empfindlichkeit äussern kann.

So kann sich das bei unterempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Objekte sind eher dunkel und typische Merkmale sind nicht klar zu erkennen.
  • Die zentrale Sicht ist verschwommen, die Umgebung jedoch scharf.
  • Ein zentrales Objekt wird vergrössert wahrgenommen und die umgebenden Dinge sind verschwommen.
  • Schlechte Tiefenwahrnehmung, Probleme beim Werfen und Fangen, Ungeschicklichkeit.

Durch visuelle Unterstützung können Sie den Betroffenen helfen. Viele Informationen dazu finden Sie auf der Webseite der National Autistic Society von Grossbritannien. Sie geben die Grundlagen, um eigene Unterlagen herzustellen: https://www.autism.org.uk/about/strategies/visual-supports.aspx

So kann sich das bei überempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Verzerrte Sicht – Objekte und helles Licht scheinen sich zu bewegen.
  • Betroffenen fällt es einfacher, sich auf Details zu fokussieren als das ganze Objekt wahrzunehmen.
  • Mögliche Schwierigkeiten beim Einschlafen aufgrund der Überempfindlichkeit auf Licht.

Durch Veränderungen in der Umwelt können die Reize minimiert und der Reizüberflutung entgegenwirkt werden.
 
Dämpfen Sie das grelles Licht. Für manche Betroffene können Sonnenbrillen sinnvoll sein. Hilfreich kann zum Beispiel ein angepasster, abgeschirmter Platz im Schulzimmer sein.

So kann sich das bei unterempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Geräusche möglicherweise nur mit einem Ohr hören, im anderen nur wenig oder gar nichts.
  • Bestimmte Geräusche nicht zuordnen können.
  • Möglicherweise überfüllte, laute Plätze positiv empfinden oder Türen zuknallen.

Helfen Sie den Betroffenen, indem Sie das Gesagte visuell unterstützen. Stellen Sie sicher, dass andere Menschen über die Unterempfindlichkeit der betroffenen Person informiert sind.

So kann sich das bei überempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Lärm wird lauter wahrgenommen, als er wirklich ist, und Geräusche werden verzerrt oder durcheinander gebracht.
  • Betroffene können sogar ferne Gespräche hören.
  • Betroffene haben Schwierigkeiten, Geräusche zu sortieren. Sie nehme Hintergrundgeräusche überdurchschnittlich stark wahr, was ihnen die Konzentration wesentlich erschwert.
  • Kaugeräusche von anderen Menschen werden als sehr störend empfunden (Misophonie)

Schliessen Sie Türen und Fenster, um Betroffene vor Lärm und Geräuschen zu schützen. Kündigen Sie es vorher an, wenn Sie laute und überfüllte Plätze besuchen. Stellen Sie ihnen Ohrstöpsel und Kopfhörer zur Verfügung. Es wird jedoch empfohlen, das Tragen von Kopfhörern vorgängig einzuüben, denn nicht alle Menschen mit ASS empfinden es als angenehm. Richten Sie einen abgeschirmten Platz im Schulzimmer oder im Büro ein, welcher sich weder neben dem Fenster noch neben der Tür befindet.

So kann sich das bei unterempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Manche Betroffenen nehmen Gerüche - teilweise auch starke - nicht wahr, so auch ihren eigenen Körpergeruch.
  • Sie lecken Dinge ab, um zu erkennen, um was es sich dabei handelt.

Helfen Sie den Betroffenen zum Beispiel, ihre Körperpflege in den Tagesablauf einzuplanen.

So kann sich das bei überempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Gerüche können für Betroffene intensiv und überwältigend sein. Dies kann Mühe bereiten, auf die Toilette zu gehen.
  • Oft mögen sie es nicht, wenn jemand ein stark riechendes Parfüm trägt oder ein duftendes Shampoo benutzt.
  • Dies kann dazu führen, dass sie Essen verweigern oder Mühe haben, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Für Betroffenen ist es hilfreich, wenn Sie möglichst auf intensive Duftstoffe verzichten.

So kann sich das bei unterempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Sie mögen sehr scharfes Essen.
  • Sie essen nicht essbare Gegenstände, wie beispielsweise Steine, Dreck, Gras, Metall (oder nehmen diese in den Mund).

Überempfindlich So kann sich das bei überempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Betroffene haben sehr empfindliche Geschmacksknospen und empfinden bestimmtes Essen und gewisse Geschmäcker als zu intensiv. Sie essen sehr selektiv und ernähren sich streng nach ihren Vorlieben.
  • Bestimmte Texturen finden sie unangenehm. Sie essen daher beispielsweise ausschliesslich Lebensmittel mit glatter Konsistenz, wie zum Beispiel Kartoffelstock oder Glace.

Einige Menschen mit Autismus nehmen nur mild gewürzte Speisen ein. Andere sehnen sich nach stark riechendem Essen. Es gilt daher zu unterscheiden, ob jemand eine Diät macht oder an einer Unter- oder Überempfindlichkeit leidet.

So kann sich das bei unterempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Betroffene umarmen andere Personen innig und merken dabei nicht, dass dies im sozialen Kontext möglicherweise unangebracht ist (z.B. Lehrpersonen).
  • Sie haben eine hohe Schmerzschwelle.
  • Sie spüren das Essen im Mund nicht.
  • Sie verletzen sich selber.
  • Sie mögen es, wenn schwere Gegenstände auf ihnen liegen.
  • Sie verschmieren Kot, da sie die Textur mögen.
  • Sie kauen auf allem herum, auch auf Kleidern und ungeniessbaren Objekten.

Offerieren Sie der betroffenen Person einen Ersatz zum Kauen, wie beispielsweise Strohhalme oder Beissringe. Als Alternative zu Kot bieten sich Gelee oder Mehl mit Wasser an. Kugeldecken oder Druckwesten können Sicherheit bieten.

So kann sich das bei überempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Berührungen können für die Betroffenen schmerzhaft und unangenehm sein. Sie mögen es oft nicht, berührt zu werden, was ihre Beziehung zu anderen Menschen beeinflussen kann.
  • Sie tragen nicht gerne Kleidungsstücke an den Händen oder Füssen, z.B. Handschuhe oder Socken und würden auch im Winter am liebsten nur kurze Hosen und T-Shirts anhaben.
  • Sie haben Schwierigkeiten, ihre Haare zu waschen, zu kämmen und schneiden zu lassen, da ihre Kopfhaut sehr sensibel ist.
  • Sie finden gewisse Texturen und Konsistenzen von Lebensmitteln unangenehm.
  • Sie tragen nur eine gewisse Art von Kleidung und Textilien.
  • Das Zähneputzen ist ihnen unangenehm.

So können Sie helfen.
 
Berührungen: Kündigen Sie der betroffenen Person eine Berührung vorher an und gehen Sie immer von vorne auf sie zu (Vorhersehbarkeit). Denken Sie daran, dass Betroffene eine Berührung als schmerzhaft empfinden können, auch wenn sie noch so gut gemeint ist.
 
Ernährung: Verändern Sie die Textur des Essens (z.B. pürieren Sie es) und schlagen Sie der betroffenen Person verschiedene Lebensmittel vor. Geben Sie ihr Materialien mit verschiedenen Oberflächen und aus verschiedenen Materialien zum Berühren (z.B. eine Box mit verschiedenen Gegenständen).
 
Körperpflege: Erlauben Sie der Person, sich beispielsweise selber die Haare zu waschen und zu bürsten. So kann sie es auf diese Weise tun, wie es ihr angenehm ist.
 
Kleidung: Drehen Sie bei der Kleidung die Innenseite nach aussen, so dass keine Nähte die Haut berühren. Entfernen Sie alle Zettel und Etiketten. Erlauben Sie der Person, Kleider zu tragen, in denen sie sich wohlfühlt.

So kann sich das bei unterempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Nur beim Schaukeln, Schwingen oder sich Drehen werden ihre Sinnesorgane und damit der Gleichgewichtssinn angeregt.

Führen Sie Aktivitäten aus, welche den Gleichgewichtssinn fördern. Als Hilfsmittel bieten sich Schaukelstühle/pferde, Karussells, Wippen oder Hängematten an. Auch Ballspiele oder das Balancieren auf einer Bordsteinkante sind geeignet.

So kann sich das bei überempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Schwierigkeiten bei Aktivitäten haben, bei denen Bewegungen kontrolliert werden müssen (z.B. im Sport).
  • Schwierigkeiten, schnell während einer Aktivität zu stoppen.
  • Übelkeit im Auto.
  • Schwierigkeiten bei Aktivitäten, in welchen der Kopf nicht oben ist oder die Füsse nicht am Boden sind.

Unterteilen Sie Aktivitäten in einfache Teilschritte und nutzen Sie visuelle Hilfen, wie beispielsweise eine Ziellinie.

Unser Körperbewusstsein sagt uns, wo sich unser Körper im Raum befindet und wie sich die verschiedenen Körperteile bewegen.

So kann sich das bei unterempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Unausgeprägtes Nähe-Distanz-Gefühl zu anderen Menschen. Betroffene kommen anderen Menschen oftmals zu nahe.
  • Mühe haben, sich in einem Raum zu orientieren.
  • Oft mit anderen Menschen zusammenprallen.

Unterstützen Sie die betroffene Person, indem Sie Möbel am Rand eines Raumes positionieren, damit sie sich besser zurecht finden. Verwenden Sie Decken mit Gewicht oder eine Kugelweste, um einen angenehmen Druck zu erzeugen. Befestigen Sie farbiges Klebeband am Boden, um Grenzen sichtbar zu machen. Nutzen Sie die Arm-Länge-Regel (eine Armlänge von anderen Personen wegstehen), damit die Betroffenen abschätzen können, wie nahe sie einer anderen Person kommen dürfen.

So kann sich das bei überempfindlichen Betroffenen zeigen:

  • Betroffene haben Defizite in der Feinmotorik oder Handgeschicklichkeit und bekunden zum Beispiel Mühe, kleine Knöpfe zu schliessen, Schnürsenkel zu binden und einen Stift richtig zu halten.
  • Sie bewegen ihren ganzen Körper, um etwas anzuschauen.

Trainieren Sie mit der betroffenen Person die Feinmotorik. Für den Computer gibt es zum Beispiel spezielle Tastaturen mit Rastern oder grösseren Tasten.


Kommunikation

Besonderheiten der Kommunikation und Sprache von Menschen mit Autismus
 
Eine auffällige Sprache und Kommunikation gehört zur typischen Kernsymptomatik bei Menschen mit Autismus. So zeigen sie eine verspätete, eingeschränkte oder gänzlich fehlende Sprachentwicklung und Symptome wie das Nachsprechen vorgesagter Wörter (Echolalie), das Vertauschen von ich/du (Pronomina), Schwierigkeiten mit Ja/Nein-Antworten, das Kreieren von neuen Wörtern (Neologismen) und Beeinträchtigungen im Verständnis von Pragmatik (dem Gebrauch von Sprache in unterschiedlichen Situationen), Semantik (Sinn, Inhalt) und Prosodie (Sprachmelodie). Die Probleme in der Kommunikation gehen mit Schwierigkeiten im sozialen Bereich einher. So gestaltet sich eine Kontaktaufnahme mit anderen Menschen oftmals schwierig und bedingt ein grosses Einfühlungs- und Vorstellungsvermögen der Mitmenschen und Therapeuten.

Was versteht man unter Kommunikation?
 
Definition: Kommunikation ist die Bezeichnung für Prozesse, die einen Sender, einen Empfänger, einen Kommunikationsmodus oder Kommunikations-Kanal (z.B. Sprache), eine Botschaft oder Nachricht und eine auf Empfang erfolgende Verhaltensänderung oder allgemein einen Effekt als analytische Einheiten aufweisen (Drever/Fröhlich).
 
So kompliziert diese Definition auch klingt, so einfach ist sie auch. So bezeichnet Kommunikation den Prozess zwischen Sender und Empfänger. Diesen Prozess verstehen Menschen mit ASS nicht, nur teilweise oder anders.

Vorsprachliche Kommunikation
 
Dank differenzierter Forschungsmethoden machte die Entwicklungspsychologie in den siebziger Jahren eine interessante Entdeckung. Studienergebnisse liessen vermuten, dass Kinder genetisch auf die Interaktion mit anderen Individuen vorbereitet sind. So reagieren bereits Neugeborene in der ersten Woche auf das menschliche Gesicht, egal ob dies nun echt ist oder aus einer Zeichnung besteht. Schon mit zwei Wochen scheint das Baby auch fähig zu sein, den Erwachsenen beim Öffnen des Mundes und Herausstrecken der Zunge nachzuahmen.
 
Auch Menschen mit ASS reagieren darauf, wenn man sie anlächelt und anstrahlt. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass Menschen mit Autismus ungewöhnlich lange brauchen (10 Minuten bis zu einer halben Stunde), bis sie auf dieses Kontaktsignal zu antworten beginnen. Oft vermeiden sie dabei den direkten Blickkontakt und schauen Mitmenschen nur aus den Augenwinkeln an.
 
Eine erste Kommunikationsform erfolgt demzufolge durch den Blickkontakt. In der weiteren Entwicklung verfeinert sich die Interaktion, indem sie durch verschiedene Modalitäten ausgedrückt wird. Dies geschieht über Blickaustausch und Gestik, vorsprachliche Routinespiele und Austausch von Vokalisationen. Diese Struktur des «ich bin dran – du bist dran» ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die spätere sprachliche Kommunikation.

Zweck der Kommunikation
 
Worin besteht die Motivation miteinander zu kommunizieren und welcher Nutzen kann ein Individuum daraus ziehen? Strahlende, geöffnete Augen und ein strahlendes Lächeln regen die soziale Umwelt an. Das Regulieren von Bedürfnissen, soziale Kontakte, Beziehung und Emotionen stehen in den ersten Jahren im Vordergrund. Später kommt die Neugierde, mehr wissen zu wollen und das Interesse an neuen Informationen dazu. Die Absicht etwas zu erreichen und dass es dazu eine bestimmte Form zu gebrauchen gilt (z.B. verbale Sprache und vor allem die nonverbale Sprache), muss von Menschen mit ASS in kleinsten Schritten gelernt werden.

Wie kommt das Kind mit Autismus zu einer Kommunikation mit anderen Personen?
 
Der Blickkontakt ist eine wichtige Voraussetzung für die Kommunikation. Daher gilt es, das Kind immer wieder zum Blickkontakt zu animieren und ihm mit grossen Augen und mit Freundlichkeit zu antworten. Ein gemeinsames Spiel, bei dem das Kind eine hohe Motivation zeigt, ist eine gute Grundlage (springen, hüpfen, kitzeln etc.). Die gemeinsame Aufmerksamkeit bei solchen Spielen ermöglicht den Blickkontakt.
 
Die Absicht, etwas zu bekommen und etwas zu erreichen, muss beim Kind mit ASS vorhanden sein. Hier gilt es, das Kind gut zu beobachten und sich zu merken, was das Kind haben oder tun möchte. Das beginnt beim Öffnen einer Tür bis hin zum Erhalten eines Objektes oder Nahrungsmittels. Dem Kind muss gezeigt werden, dass Kommunikation lustvoll ist und einen Nutzen bringt. Kitzeln, schwingen, singen, essen, lachen, laufen, springen usw. sind Tätigkeiten, die sich gut dafür eignen. Sobald erkennbar ist, was das Kind möchte, stoppen wir es, fordern Blickkontakt und fragen, was es möchte. Wir helfen dem Kind, die Antwort zu geben, sei es mit einer Gebärde, mit einem Bild oder mit einem Wort. Jede Bemühung des Kindes sich mitzuteilen, wird dadurch verstärkt, dass es das bekommt, was es will. Solche Übungssituationen müssen zu Hunderten pro Tag gemacht werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass dies dem Kind Spass macht und es erkennt, wenn es durch eine Interaktion zum Erfolg kommt.

Weiterführende Kommunikation
 
Eine komplexere Kommunikation bezieht sich auf das Erlernen der Lautsprache, Schriftsprache, Gebärdensprache oder eines Bild-Kommunikationssystems. Je nach Fähigkeiten des Kindes wird die geeignete Form der weiterführenden Kommunikation ausgewählt. Auch diese muss in kleinsten Schritten aufgebaut werden.
 
Ganz gleich, welche Form das Kind lernt, dem Kind muss das «Fragestellen» im weiteren Verlauf der Förderung gezielt beigebracht werden. Auch erwachsene Menschen mit ASS, welche verbale Sprache haben, zeigen oft Schwierigkeiten, gezielt sinnvolle Fragen zu stellen. Dem Menschen mit Autismus muss gelehrt werden, dass er durch «fragen» zu neuen Erkenntnissen gelangen soll und keinesfalls nur, um stereotyp mit seinen Mitmenschen in Kontakt zu kommen.
 
Eine weitere «Sprachform» bezieht sich auf Mimik und Gestik. Menschen mit Autismus haben immer wieder Schwierigkeiten, feine Gesichtsbewegungen und Körperbewegungen zu lesen und zu interpretieren. Ein grosser Teil der Kommunikation verläuft aber auf dieser nonverbalen Ebene. Demzufolge muss den Menschen mit Autismus diese «Sprache» ebenfalls beigebracht werden. In Gruppen, einzeln oder anhand eines Videofilms kann diese «Sprache» beobachtet und gelernt werden.

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