Alles über die Diagnose

Eine offizielle Diagnose zu erhalten kann den Zugang zu wichtigen Unterstützungsmassnahmen ermöglichen und gleichzeitig erklären, warum gewisse Dinge für die Betroffenen so schwierig sind. Es gibt online mehrere ‘Autismus-Tests’, doch diese können eine offizielle Diagnose auf keinen Fall ersetzen.


Vom Verdacht zur Diagnose

Die Autismus-Diagnostik ist aufwändig und komplex. Es gibt keinen spezifischen Test, mit dem die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung gestellt werden kann. Die Diagnose beruht auf genauen Angaben zur bisherigen Entwicklung und dem aktuellen Befinden und Verhalten der Person. Bei Kindern werden dazu in erster Linie die Eltern befragt, oft aber auch Fachpersonen, die das Kind aus Krippe, Schule oder aus Therapien kennen. Auch bei erwachsenen Personen sollten die Eltern wenn möglich zur Entwicklung befragt werden. Die betroffene Person muss selbst ausführlich über ihr früheres und aktuelles Leben Auskunft geben. Falls vorhanden können enge Freunde oder Lebenspartner/innen einbezogen werden.

Auch bei einer Verdachtsdiagnose sollte man nicht unnötig Zeit verstreichen lassen und möglichst früh mit gezielten Fördermassnahmen für die Betroffenen beginnen.

Bei Kindern ergänzen strukturierte Spielbeobachtungen die Untersuchung. Es ist oft hilfreich, das Kind in einer Gruppensituation zu erleben. Bei Jugendlichen und Erwachsenen werden neben den inhaltlichen Aussagen vor allem Aspekte der nonverbalen Kommunikation, der Gegenseitigkeit im Gespräch und des sozialen Verständnisses beurteilt.

Um eine zuverlässige Diagnose stellen zu können, müssen sich die Fachpersonen Autismus-spezifisch weitergebildet haben und solche Untersuchungen regelmässig durchführen. Bei Kindern mit frühkindlichem Autismus kann die Diagnose in der Regel im Alter von 2 – 2 1/2 Jahren gestellt werden. Bei Kindern mit Asperger-Syndrom werden die Probleme meist erst im Kindergarten- oder Schulalter deutlich. Bei Erwachsenen sind die autistischen Symptome manchmal durch Depressionen, Ängste oder Zwänge überlagert, was die Diagnose erschwert.

Die richtige Diagnose ist Voraussetzung für eine Autismus-spezifische Unterstützung und Förderung. Jugendlichen und Erwachsenen kann sie helfen, ihre Probleme im Alltag besser zu verstehen und nach neuen Wegen zu suchen. Eltern, Freunde und Lebenspartner, aber auch Lehrpersonen oder Arbeitgeber können sich Informationen zu ASS beschaffen und dadurch lernen, besser auf Menschen mit Autismus einzugehen.

Jeder Mensch ist anders und so ist auch jeder Mensch mit Autismus anders. Für Betroffene kann eine Diagnose in verschiedenen Lebensbereichen hilfreich sein:

  • Eine Diagnose kann den Betroffenen und ihrem Umfeld (Familie, Partner, Chef oder Freunde) helfen, das Verhalten der Betroffenen besser verstehen zu können. Ausserdem können durch eine Diagnose Unterstützungsmöglichkeiten gefunden werden, welche den Alltag der Betroffenen erleichtern können.
  • Manchen Betroffenen hilft die Diagnose, um ihr eigenes Verhalten zu verstehen und sich mit anderen von Autismus betroffenen Menschen identifizieren zu können.
  • Eine Diagnose kann auch eine vorherige Fehldiagnose (wie zum Beispiel Schizophrenie) aufheben. So können für die Betroffenen gezielte individuelle Fördermassnahmen geplant werden.

Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Fachleute in der Regel einig sind, wann eine Autismus-Diagnose gestellt wird. Bisher gab es mehrere Diagnosen im Autismus-Spektrum: Asperger-Syndrom, frühkindlicher Autismus und atypischer Autismus. Die amerikanischen Autismus- Spezialisten haben entschieden, in ihrem Diagnose-System DSM-5 nur noch die Diagnose «Autismus-Spektrum-Störung» (ASS) zu verwenden. Um die betroffenen Personen noch genauer zu beschreiben, wird festgehalten, ob eine Autismus-Spektrum-Störung mit oder ohne Sprachstörung, geistiger Behinderung oder zum Beispiel Epilepsie (Mögliche Begleiterscheinungen) vorliegt. Der Schweregrad der autistischen Störung wird über den Unterstützungsbedarf des Betroffenen beschrieben (tief, mittel oder hoch). Das von der WHO und in der Schweiz verwendete Diagnose-System ICD-10 wurde überarbeitet und wird durch ICD-11 abgelöst. Darin wird es ebenfalls nur noch die Hauptdiagnose ASS geben.

Eine Autismus-Diagnose kann Eltern im ersten Moment überfordern und ist für viele Familien schwer zu bewältigen. Die Familie muss mit etwas umgehen, über das sie oft nur wenig weiss. Sie muss Wege finden, mit der Diagnose umzugehen. Der Alltag muss umstrukturiert werden und gegenseitige Unterstützung stattfinden. Hier finden Sie Informationen über mögliche Auswirkungen der Diagnose auf Ihre Familie, Unterstützungsmöglichkeiten für Ihr autistisches Kind, für Geschwister und für Sie selber. Ausserdem finden Sie Möglichkeiten, wie Sie mit ihrem Kind über die Diagnose sprechen können.

Wichtig ist: Ihr Kind bleibt die gleiche Person, trotz Diagnose. Da Sie jetzt wissen, dass Ihr Kind im Autismus-Spektrum ist, können Sie das Verhalten und die besonderen Bedürfnisse ihres Kindes besser verstehen. So können Sie Ihr Kind richtig unterstützen und ihm helfen, sein Potential auszuschöpfen. Ihr Kind kann von einer angemessenen, manchmal durchaus intensiven Unterstützung ab dem frühen Kindesalter profitieren. Dank der Diagnose können Sie bei Ihrer Unterstützung auf die besonderen Bedürfnisse Ihres autistischen Kindes eingehen.

In der Schule: Um Kinder mit Autismus in der Schule zu unterstützen, müssen den involvierten Personen (z.B. Lehrperson) die besonderen Bedürfnisse des Betroffenen bekannt sein. Wichtig ist, dass Sie mit der Schule besprechen, inwiefern Ihr Kind zusätzliche Unterstützung braucht. Ratschläge für Lehrpersonen und Eltern zum Thema Schule finden Sie hier: Link.

Wann sage ich es meinem Kind?
Sie müssen selber entscheiden, zu welchem Zeitpunkt Sie Ihrem Kind von seiner Autismus-Diagnose erzählen. Manche Eltern erzählen dem Kind von der Diagnose, wenn es noch jung ist (Primarschulalter) und beginnt, Fragen zu stellen. Andere Eltern warten bis Ihr Kind älter ist, da dieses die Diagnose und seine Eigenheiten möglicherweise besser verstehen kann. Fragen Sie Fachpersonen nach Unterstützung bei dieser wichtigen Entscheidung.

Wie sage ich es meinem Kind?
Kinder mit Autismus haben Schwierigkeiten mit neuen Informationen umzugehen. Es fällt ihnen besonders schwer, wenn sie Angst haben, sich gestresst fühlen oder sich in einer unbekannten Umgebung befinden. Es gibt nicht „den richtigen Weg“, Ihr Kind über die Diagnose zu informieren. Es gibt jedoch einige Punkte, die Ihnen das Mitteilen erleichtern können:

  • Wer sagt es? Vorab müssen Sie klären, welches Familienmitglied sich am besten eignet, das Kind über seine Diagnose zu informieren. Hat das Kind ein besonders enges Verhältnis zu den Grosseltern oder zu einer Tante? Dann sollten auch diese miteinbezogen werden.
  • Zeitpunkt und Ort: Stellen Sie sicher, dass Sie und ihr Kind in einer ruhigen Stimmung sind und wählen Sie einen Ort, an dem sie sich beide wohl fühlen und sie ungestört reden können.
  • Geduld haben: Ihr Kind braucht Zeit, um zu verarbeiten, was Sie ihm sagen. Bieten Sie ihm die Möglichkeit nachzudenken und Fragen zu stellen.
  • Wie starte ich das Gespräch? Eine Möglichkeit, um mit dem Gespräch zu starten, wäre das Thematisieren der Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Hierfür eignet sich eine Liste aller Familienmitglieder mit deren jeweiligen Stärken und Schwächen. Anschliessend könnten Sie mit Ihrem Kind über seine eigenen Stärken und Schwächen sprechen. Danach sagen Sie ihm, dass es einen Namen gibt für diese speziellen Stärken und Schwächen – Autismus.
  • Andere Betroffene treffen: Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Ihr Kind andere Menschen mit Autismus trifft. Machen Sie ihrem Kind bewusst, dass auch Menschen mit Autismus trotz ihrer Gemeinsamkeiten unterschiedlich sind und jeder für sich einzigartig ist.

Wie wird mein Kind reagieren?
Jedes Kind mit Autismus ist anders und so wird auch die Reaktion auf die Diagnose bei allen Betroffenen unterschiedlich ausfallen. Einige Kinder reagieren erleichtert, da sie jetzt ihr Verhalten besser verstehen können. Andere Kinder reagieren besorgt und haben Angst, dass etwas mit ihnen falsch ist. Dies kann sich negativ auf ihre Gesundheit auswirken. Es ist ganz wichtig, dass Sie betonen, dass Autismus keine Krankheit ist. Auch wenn Autismus nicht geheilt werden kann, gibt es trotzdem viele Möglichkeiten, die betroffenen Kinder in ihrem Alltag zu unterstützen und ihnen zu helfen, mit ihren Schwierigkeiten umzugehen. Beispielsweise kann das Kind in der Schule zusätzliche Unterstützung von Fachpersonen erhalten. So kann es auch Aufgaben lösen, die ohne zusätzliche Unterstützung nicht möglich wären. Heben Sie die Stärken Ihres Kindes hervor. Machen Sie Ihrem Kind klar, dass es nicht nur Schwierigkeiten hat, sondern auch in vielen Dingen sehr gut ist und auch Dinge beherrscht, bei denen andere Kinder Hilfe brauchen. (Die andere Seite des Autismus) Seien Sie für Ihr Kind da und beantworten Sie Fragen. Es gibt Kinder mit Autismus, die sich nicht getrauen, Fragen direkt zu stellen. Hierfür eignet sich eine Frage-Box, ein Tagebuch oder ein E-Mail-System, welche es diesen Kindern leichter macht, persönliche Fragen zu stellen. Zusätzlich gibt es den Kindern mehr Zeit, um die Antworten ihrer Eltern (oder Fachpersonen) zu verarbeiten oder sich andere Fragen zu überlegen.

Was soll ich tun, wenn mein Kind andere autistische Kinder kennenlernen möchte?
Es gibt autistische Kinder, denen es hilft, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Für sie ist es sehr wertvoll, wenn sie merken, dass sie nicht alleine sind.

Wie soll ich es meinen anderen Kindern sagen?
Wenn Sie andere Kinder haben wäre es gut, wenn Sie mit diesen individuell über die Diagnose des Kindes sprechen. Nicht jedes Kind versteht die gleiche Erklärung. Das ist altersabhängig.

Wie können sich Lehrpersonen über Autismus informieren?
Damit Lehrpersonen ein Kind mit Autismus bestmöglich in der Schule fördern können, müssen sie über Autismus aufgeklärt werden. Hier finden Sie wertvolle Tipps für Lehrpersonen:

Nach der Diagnose
Eine Autismus-Diagnose kann schwer zu bewältigen sein. Betroffene müssen mit etwas umgehen, über das sie nur wenig wissen. Zudem kommt die Frage auf, wo die Betroffenen sich angemessene Unterstützung einholen können. Für manche ist eine Autismus-Diagnose aber auch eine Erleichterung, da sie schon lange ihre autistischen Züge bemerkt haben. Obwohl Menschen mit Autismus auch als Erwachsene auf Unterstützung in ihrem Alltag angewiesen sind, können sie stolz auf ihre einzigartigen Stärken und Qualitäten sein. (Die andere Seite des Autismus)

Im Folgenden werden einige Schwierigkeiten von Menschen mit Autismus genauer beschrieben. Ausserdem finden Sie Unterstützungsmöglichkeiten in diesen Bereichen:

Mögliche Schwierigkeiten der Betroffenen
Autismus ist eine Beeinträchtigung, welche, anders als eine körperliche Behinderung, auf den ersten Blick nicht sichtbar ist. Für die Betroffenen ist es wichtig, dass ihr Umfeld über die Diagnose Autismus und die Besonderheiten der Betroffenen Bescheid weiss. Nur so bekommen die Betroffenen die nötige Unterstützung.

Lesen Sie hier mehr über Autismus-Spektrum-Störungen

Unterstützung: Allgemeine Informationen und Ratschläge
Finden Sie Informationen dazu, wo Sie Unterstützung holen oder in Kontakt mit anderen von Autismus betroffenen Menschen treten können.

Unterstützungsmöglichkeiten und wichtigen Adressen und Anlaufstellen

Auch für die Geschwister ist eine Autismus-Diagnose in der Familie nicht einfach. Sie werden spüren, dass ihre Eltern dem autistischen Kind mehr Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Es gibt Möglichkeiten, wie Eltern auch Geschwister unterstützen können:

Wenn möglich...
  • ...helfen Sie den Geschwistern, ihren autistischen Bruder oder ihre autistische Schwester und seine/ ihre Bedürfnisse besser zu verstehen.
  • ...nehmen Sie sich Zeit für die Geschwister.
  • ...unternehmen Sie etwas nur mit den Geschwistern.
  • ...erlauben Sie den Geschwistern, Zeit für sich zu haben (übernachten bei Freunden etc.).
  • ...erlauben Sie den Geschwistern, Freunde mit nach Hause zu bringen und sorgen Sie dafür, dass sie nicht gestört werden.
  • ...hören Sie sich ihre Sorgen und Wünsche an.
  • ...interessieren Sie sich für ihre Ideen und hören Sie ihnen zu. Ältere Geschwister haben möglicherweise gute Ideen, wie die Situation gemeistert werden kann. Wenn Geschwister eine gute Beziehung zu ihrem autistischen Bruder oder ihrer autistischen Schwester haben, können diese möglicherweise das betroffene Kind Sachen fragen, die Sie als Eltern nicht fragen können.

Kontakt

Geschäftsstelle

Riedhofstrasse 354 | 8049 Zürich
anfrage@autismus.ch
+41 (0)44 341 13 13
Mo bis Do: 08:30 – 12:30 Uhr

beratung@autismus.ch
Es gibt mehrwöchige Wartezeiten und unsere Mitglieder haben Priorität.

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